Predigten über „verdampte Ketzer“ und den „Fleis zum Gottesdienst“


In drei Arbeitsgängen muß Heide Ilchmann das gewichtige Werk eines anhaltinischen Adligen mit Lederbalsam bearbeiten

Die prachtvolle Ausstattung des Bandes erhöhte schon um 1577 das Vergnügen an der Lektüre der theologischen Arbeiten des Fürsten Georg zu Anhalt.

-ch- Jever. „Beim Auspinseln der Seiten lese ich mich auch schon einmal fest“, gesteht die Schortenserin Heide Ilchmann, die in der Bücherwerkstatt des Mariengymnasiums zurzeit mit der „theologischen Abteilung“ befaßt ist. Außer Bibeln und dünnen Traktaten landen hier auch die richtig „schweren Wälzer“ zur Reinigung, Klimatisierung und Konservierung. Das Buch, das die gelernte Bibliothekarin vom Tisch neben ihrer „Intensivstation“ für besonders schwere Fälle nimmt, fällt unter diese Rubrik.

Jevers Fräulein Maria war gerade zwei Jahre tot, als 1577 ein theologisches Werk des Fürsten Georg III. zu Anhalt erschien. „Predigten und Schriften, darinnen die Summa christlicher Lehre“ lautet der Titel der gelehrten Arbeit. Das schwergewichtige Werk des gebildeten Adligen hat die Jahrhunderte nicht ohne äußere Spuren überstanden. Der Holzwurm hatte Zeit und Muße, den hölzernen Buchdeckel und die Druckseiten zu löchern. Einer der fein ziselierten Messingbeschläge fehlt, das mit der Goldprägung versehene Leder des Einbandes ist teilweise abgeschabt. Gut erhalten ist der mit Reliefs und Gold versehene Buchrücken. „Ich nehme an, daß der Ledereinband irgendwann nachgearbeitet worden ist“, berichtet die Hüterin der Schätze des Mariengymnasiums. An den Holzdeckeln hat sie verschiedene Hinweise darauf gefunden.

In drei Arbeitsgängen mußte Heide Ilchmann zur Konservierung den Einband mit Lederbalsam und schließlich „einem Hauch Vaseline“ bearbeiten, leimen und den Messingbeschlag reinigen. Mit dem Pinsel hat die Fachfrau zuvor jede einzelne Seite von Staub und Fremdkörpern befreit und dem Buch durch Trockenphasen die Feuchtigkeit entzogen.

Eine Luther – Darstellung auf einer der ersten Seiten wird zum Bekenntnis. Das Buch, in dem sich der Regent von Zerbst ausführlich der Interpretation von Bibelpassagen und Aspekten des wahren Christentums widmet, muß zuvor als lateinische Schrift vorgelegen haben, denn erst der Zerbster Superintendent M. Abraham Ulrich Cranach habe es mit „trewem Fleis ins Deutsche zusamen gebracht“. Auch eine Vorrede des reformatorischen Theologen Philipp Melanchton aus dem Jahre 1555 zu einer früheren lateinischen Fassung des Werkes deutet darauf hin. Der Goldschnitt wurde erst nachträglich angebracht, frühestens im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts.

Nach Jever ist der prächtige Band vermutlich erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts gekommen, als die Marienstadt unter Zerbster Herrschaft geriet. Ob die Ausführungen über „verdampte Ketzer“, den „Fleis zum Gottesdienst“ und die „eusserlicher Geberde im Gebet“ da noch mit dem Eifer gelesen wurden, mit dem Georg III. sie niedergeschrieben hatte, ist allerdings fraglich. Bald tritt das Buch seinen Weg von der Werkstatt in die historische Bibliothek an.

(Jeversches Wochenblatt vom 04. November 2000)